Kinder sind die Adressat*innen, Protagonist*innen, Held*innen, Akteur*innen, (Nach)­Erzähler*innen, Rollen­­spieler*innen, Zuhörende, Deutende von Kinder-literatur und vielen Dar­stellungs­formen von Geschichten im Alltag. Was weitererzählt, nachgespielt, wiederholt, ausgemalt, erinnert wird, entscheiden die Kinder selber – der pädagogische Blick auf das wertvoll Erscheinende mag vorsortierend lenken, aber nicht entscheiden. Auch nicht zu lesen oder zuzuhören kann eine Entscheidung sein – ganz im Sinne der „Rechte des Lesers“ (Pennac 1994), deren erstes das Recht darauf ist, nicht zu lesen.

Damit alle Kinder Figuren finden, mit denen sie sich identifizieren können, suchen wir nach diversen Charakteren, Hintergründen und Lebenswelten in Kinder-büchern und anderen Darstellungsformen von Erzählungen; verschiedene Familienkonstellationen kommen darin ebenso vor wie unter­schiedliche Interessen, Begabungen, Herkünfte, religiöse und geschlechtliche Orientierungen –  sodass Kinder zwischen Identifikationsangeboten wählen, Freund*innen und Held* innen finden können. Dabei folgen wir gerade nicht (bzw. nicht nur) einem ‚Heldenschema‘, sondern lassen auch ‚leise‘ Erzählungen zu Geschichte(n) werden. [1]

Die Schriftstellerin Chimamanda Adichie erzählt von den Figuren in ihren Kinder- und Jugendbüchern: Allesamt weiß, tranken sie „Ginger beer“ und aßen Äpfel – wie dann auch die Hauptfiguren in Chimamandas Erstlingswerken, obwohl sie selber als schwarze junge Frau in Nigeria aufwuchs und weder Äpfel noch Ginger-beer kannte. Lara sucht nach Büchern, in denen ihr Bruder, der adoptiert wurde, sich und Ausschnitte seiner Geschichte wiedererkennen kann. Lars fragt sich, warum keiner der berühmten Helden der Kinderliteratur (z.B. der 5 Freunde) im Rollstuhl sitzt oder blind ist? Sammy de Luxe wünscht sich für seinen Sohn: „Ich wär‘ so gern dein Superheld“ [2]. Raul Krauthausen [3] schlägt vor, Kinderbücher zum Beispiel danach zu befragen, wie sie Charaktere von Menschen mit Behinderung darstellen und verbindet dazu den Tyrion-Lannister-Test [4] mit dem Bechdel-Test. [5] 
 
Protagonist*innen sind im Sinne der Salamanca-Resolution„… all children regardless of their physical, intellectual, social, emotional, linguistic or other con-ditions.This should include disabled and gifted children, street and working children, children from remote and nomadic populations, children from linguistic, ethnic or cultural minorities and children from other disavantaged or marginalized areas of groups…” (Salamanca Statement on Principles, Policy and Practice in Special Needs Education 1994, 3ff.)
 
[1]Diese Diversität beanspruchen wir nicht für die einzelne Erzählung, aber für die Gesamtheit.
[5]Nach der Comic-Zeichnerin Alice Bechdel: Gibt es mindestens zwei Frauenrollen mit Namen?  Sprechen sie miteinander? Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann?  
 

Manifest für die inklusive Kindheitspädagogik

Alle verschieden!

von Lea Kohrs

Held*innen

von Fabienne Otto, Natalia Varaksina, Nina Bettex, Andreas Martin und Jenny Coellen