von Jaspreet Singh Saini (Gastbeitrag)

Titel: Pompei
Regie: Anna Falguères, John Shank
Produktion: Kanada (2019)
Spieldauer: 91 Min.
Altersfreigabe: Ab 14
Gesehen: Berlinale 2020, Sektion Generation 14plus

Mitten in der Wüste, drei junge Männer. Toxou, Victor und Jimmy. Nein, zwei Männer und ein Junge. Denn Jimmy muss erst noch einer werden. Von seinem Vater im Stich gelassen, wird er mit seinem älteren Bruder Victor von Toxou aufgenommen. Mit Ausgrabungen vermeintlich antiker Überbleibsel hält sich das Trio über Wasser. Wenn sie nicht gerade Reisende mit billigen Tricks um ihr Spritgeld erleichtern oder Kindern gegen kleines Geld private Peepshows bieten. Ein freies Leben im Irgendwo, in dem nur das Rauschen des Windes die absolute Stille stört. Bis eines Tages Billie auftaucht. Billie, die mit ihrer Wortlosigkeit die heile Welt Victors ins Wanken bringt. In der spärlich bewohnten Einöde verstricken sich die vier Einsamen in stumme Kämpfe. Kämpfe um Liebe, Treue und Freiheit.

Mit langen Szenen und Wechseln zwischen Nahaufnahmen und Totalen werden die Leere der Wüste deutlich spürbar. Darin eingebettet die scheinbar bedeutungslose Existenz des Einzelnen und ihr gegenüber die Bedürfnisse des Individuums und sein Streben nach Selbstverwirklichung.

Die schier unendlichen Weiten der Wüste laden ein, sich in den warmen Bildern der Tristesse zu verlieren und darin die Einsamkeit der Freiheit zu entdecken. Die überraschende Mischung aus französischem Originalton und Ausgrabungen in der Wüste, lässt es Zuschauenden offen, wo sie diesen nach Western anmutenden Streifen gerne platzieren würden. Eine Welt, konzipiert als irgendwo im Nirgendwo, in der das Cowboydasein zum Selbstzweck verkommt und am Ende unweigerlich der Tod steht. Das Leben ist nicht zum Teilen, sondern zum Schweigen. Und anders als bei Tarantino, wird hier viel geschwiegen. Aber zwischen den unausgesprochenen Zeilen steckt so viel mehr als gesagt werden könnte und vielleicht auch müsste. Denn was im Schweigen offen bleibt, scheint letztendlich auch keine Rolle zu spielen.

Wortkarg und bildgewaltig werden die fundamentalen Fragen der conditio humana aufgeworfen. Wofür arbeiten wir? Wie weit gehen wir für die Liebe? Was schuldet das Individuum der Gesellschaft? Antworten darauf liefern die schweigsamen Charaktere nicht. In der brillant erdrückenden Stille wird die Zerrissenheit der Liebenden hörbar, auch wenn Zuschauer*innen vergebens nach etwas suchen, was sie an ihnen lieben können. Letztlich müssen wir sie auch nicht lieben, aber wir können gar nicht anders, als sie zu verstehen.

Aufgrund der verschiedenen Altersgruppen, welche die Protagonist*innen repräsentieren, bietet der Film unterschiedliche Identifikationspotentiale sowie Perspektiven auf Altersgruppen übergreifende Fragen. So wird z.B. die Begegnung mit dem anderen Geschlecht auch mit Anerkennung durch Bezugspersonen verknüpft, wie auch die Bedeutung von Vorbildern und ihrer Autorität gleichsam hinterfragt wird.

Die Darstellung verschiedener Artikulationen des Emanzipationsprozesses – die erste Zigarette rauchen, der erste Kuss, sich dem (biologischen oder sozialen) Elternteil widersetzen – in unterschiedlichen Lebensphasen ermöglicht meines Erachtens nach so einem breiten Publikum einen Zugang zum Geschehen und sind auch für junge Jugendliche am Beginn der Pubertät zu empfehlen, zumal keine expliziten sexuellen oder gewaltvollen Handlungen dargestellt werden. Ebenso sind keine Held*innen zu sehen, deren „Rollenmuster durch antisoziales, destruktives oder gewalttätiges Verhalten geprägt ist“ (Merkmal der FSK 12), weshalb Pompei auch für Zuschauer*innen im Alter von 12 Jahren geeignet ist.