Es ist heute davon auszugehen, dass in fast jedem Kindergarten Kinder mit Migrationshintergrund betreut werden. Dies bedeutet, dass Kinder mit unterschiedlichen sprachlichen Voraussetzungen in den Kindergarten kommen. Viele dieser Kinder wachsen mit mehr als einer Sprache auf und es ist wichtig, dass Kindertageseinrichtungen mit dieser Herausforderung konzeptionell umgehen. Die Erzieher*innen sind hier besonders gefordert, da die Mehrsprachigkeit in ihrer sprachpädagogischen Arbeit zusätzlich zu berücksichtigen ist.

Mehrsprachigkeit

Keine „guten“ oder „schlechten“ Sprachen – welche Sprachen gut sind, bestimmt der Mainstream

Gogolin prägte den Begriff Mehrsprachigkeit in ”Lebensweltliche Mehrsprachigkeit”. Dieser beschreibt die Vielfalt an Sprachen, die uns im Alltag umgeben (vgl. Gogolin et al. 2020, S. 3). Mit diesem Begriff wird aber auch deutlich, dass auch diejenigen, die vermeintlich nur deutschsprachig sind, in ihrem Alltag von mehr als einer Sprache umgeben sind.
Verschiedenen Sprachen wird unterschiedliches Ansehen vom Umfeld entgegengebracht.  Es handelt sich um Sprachprestige. Genießt eine Sprache ein hohes Prestige, wird auf diese Sprache mit Anerkennung und Stolz geschaut. Aber auch umgekehrt werden anderen Sprachen Zweifel und Skepsis entgegengebracht. Das Prestige unterscheidet sich an unterschiedlichen Orten und Zeiten auf der Welt. Kinder bemerken die Reaktionen aus ihrem Umfeld auf ihre Sprache. Dies kann den (allgemeinen) Spracherwerb beflügeln oder auch bremsen.  Sprachprestige ist eine Konsequenz aus Vorurteilen, denen bewusst entgegengewirkt werden muss. Alle Sprachen sind gleich viel wert und sollten auf Anerkennung stoßen. (vgl. Montanari 2002, S.19 f.)

Welche Sprachen anerkannt und wertvoll sind – also kurz „gut“ sind, entscheidet sich nach ihrer Wertbarkeit in gesellschaftlichen Strukturen. In Deutschland sind es vor Allem die Bildungssprache Deutsch, Französisch und Englisch (vgl. Thomauske 2015). Sprachen stehen demnach hierarchisch zueinander, was zur Herstellung, Verfestigung und Reproduktion von Macht- und Herrschaftsverhältnissen beiträgt.

Indikator A 1.6:

Die Erzieher*innen stellen eine Verbindung zwischen den Ereignissen in der Einrichtung und dem Leben der Kinder zu Hause her. 

Anregungen für die Praxis

Die unterschiedlichen Sprachen der Kinder werden im Kita-Alltag aufgenommen, indem darauf geachtet wird, dass den Familien Raum und Wertschätzung für die Zuhause gesprochene Sprache entgegengebracht wird und ein ernsthaftes Interesse am Gesagten besteht. Eine Wertschätzung muss nicht zwangsweise mit sogenannten „interkulturellen“ Projekten initiiert werden (und damit einer Wertschätzung entgegenstehen), sondern kann allein schon in der Vermeidung von Barrieren und Abwertung geschehen. Dabei ist es wichtig Kinder, nicht zu exkludieren, wenn sie sich nicht auf deutsch artikulieren können oder bloßzustellen.
So wird ein Bezug zur Lebenswelt der Kinder geschaffen. Kinder können sich mit ihrer Lebenswelt angenommen und wahrgenommen fühlen.

Fortbildungsmöglichkeiten für Kita- Personal

Möchte sich eine Kita für das Thema Sprache im Kita-Alltag sensibilisieren, können ausgewählte Fortbildungen oder externe Begleitungen angefragt werden. Dabei ist besonders darauf zu achten, dass zuerst die eigenen Strukturen und Verstrickung in den Blick genommen werden, die die oben genannten Macht- und Hierarchieverhältnisse begünstigen oder gar verfestigen, bevor der Fokus auf die kindliche Förderung gerichtet wird. So könnten Grundlagen geschaffen werden, um die Wichtigkeit der sprachlichen Gegebenheiten zu begreifen und eine Offenheit für weitere Methodenideen zu entwickeln.

So sollte es zu einer Neuorientierung der sprachpädagogischen Praxis in frühkindliche Bildungseinrichtung kommen. Mit einem gezielten Fokus auf neuere Konzepte der Translingualität und Quersprachigkeit. Dieser Fokus beinhaltet, gelebte Mehrsprachigkeit bei Kindern sowie Fachkräften zu ermöglichen und einen respektvollen Umgang mit den verschiedenen familiären Sprachwelten zu schaffen. Dafür sollte der Blickwinkel über die unterrichteten Schulsprachen hinaus gehen. Neben der deutschen Sprache sollten andere Sprachen in den Alltag integriert werden, ohne Kinder zur Einsprachigkeit oder zum einsprachigen Handeln zu verpflichten.  Darüber hinaus sollten auch mehrsprachige Fachkräfte keine Einsprachigkeit inszenieren oder ihre persönliche Mehrsprachigkeit im pädagogischen Alltag leugnen (vgl. Panagiotopoulou 2016, S. 24 f.)

Literaturhinweise:

Gogolin, Ingrid et. al. (Hrsg.) (2020): Handbuch Mehrsprachigkeit und Bildung. Wiesbaden: Springer VS.

Küpelikilinç, Nicola; Ringler, Maria (2007): Spracherwerb von mehreren Sprachen. In: Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V. (Hrsg.): Kompetent Mehrsprachig-Sprachförderung und interkulturelle Erziehung im Kindergarten. Frankfurt am Main: Brandes & Apsel, S. 29-50.

Montanari, Elke (2002): Mit zwei Sprachen groß werden. Mehrsprachige Erziehung in Familien, Kindergarten und Schule. München: Kösel.

Panagiotopoulou, Argyro (2016): Mehrsprachigkeit in der Kindheit: Perspektiven für die frühpädagogische Praxis. In: Deutsches Jugendinstitut e.V. (Hrsg.). Frankfurt am Main: Heinrich Druck + Medien GmbH.

Thomauske, Natalie (2017): Sprachlos gemacht in Kita und Familie. Ein deutsch- französischer Vergleich von Sprachpolitiken und – Praktiken. Wiesbaden: Springer VS.