Dornröschen: Es war einmal und jetzt ist es anders

Zeichnung von Dornröschen
© Maren Smits, 2021

Jeder kennt das Märchen der Brüder Grimm über das schöne, schlafende Dornröschen, welches in einen jahrhundertlangen Schlaf fällt und vom Königssohn gerettet wird. Wir haben uns das Märchen einmal genauer angeschaut und es etwas verändert. 

Es war wieder einmal… vor langer, langer Zeit lebte ein Königspaar. Diese sprachen Tag für Tag:   

„Ach, hätten wir doch ein Kind!“  Doch sie bekamen keines.Da geschah es, als die Königin einmal ein Bad im See nahm, dass ein Frosch aus dem Wasser ans Ufer platschte und sprach:  „Dein Wunsch soll erfüllt werden. Bevor ein Jahr vergangen ist, wirst du ein Kind zur Welt bringen.“   

Was der Frosch gesagt hatte, geschah auch und die Königin gebar ein Mädchen.  

Der König wusste sich vor Freude über die Geburt seines Kindes nicht zu fassen, so dass er ein großes Fest anstellte. Er lud nicht bloß seine Verwandten, Freunde und Bekannten, sondern auch die weisen Feen dazu ein, damit sie dem Kind Glück brächten. Es waren ihrer dreizehn an der Zahl. Da er aber nur zwölf goldene Teller hatte, musste eine von ihnen daheim bleiben.   

Das Fest wurde mit aller Pracht gefeiert und als es zu Ende war, beschenkten die Feen das Kind mit ihren Zaubergaben. Die erste gab Mut und Selbstbewusstsein, die zweite Klugheit und die dritte Ehrlichkeit. Die anderen Feen gaben ihr weitere  Fähigkeiten und so hatte die Königstochter alles, was auf der Welt zu wünschen ist.   

Als die elfte Fee ihr Geschenk gegeben hatte, erschien plötzlich die dreizehnte Fee im Saal. Sie wollte sich dafür rächen, dass sie nicht eingeladen war, und ohne jemand zu grüßen oder nur anzusehen, sprach sie mit lauter Stimme:  „Die Königstochter soll sich in ihrem fünfzehnten Jahr an einem Schnitzmesser stechen und tot niederfallen.“  Und ohne ein weiteres Wort zu sprechen, kehrte sie um und verschwand wieder. Alle  waren erschrocken, doch da trat die zwölfte Fee hervor, die ihren Wunsch noch übrig hatte. Zwar konnte sie den bösen Spruch nicht aufheben, doch sie konnte ihn mildern und so sprach sie:  „Es soll aber kein Tod sein, sondern ein jahrelang währender Schlaf, in welchen die Königstochter fällt.“  

Das Königspaar, das seine geliebte Tochter vor dem Unglück bewahren wollte, ließ den Befehl ausgehen, dass alle Schnitzmesser im ganzen Königreich vernichtet werden sollten.  

Auch, wenn das Mädchen gelegentlich Unfug machte und nicht immer gehorsam war, wurden an dem Kinddie Gaben der weisen Feen sämtlich erfüllt, denn es war ehrlich, freundlich, selbstbewusst, mutig, klug, hilfsbereit und noch vieles mehr. 

Es geschah, dass an dem Tage, als die Tochter gerade fünfzehn Jahre alt wurde, der König und die Königin nicht zu Haus waren und das Mädchen ganz allein im Schloss zurückblieb. Da ging sie überall herum und besah sich Stuben und Kammern, wie sie Lust hatte.   

Endlich kam sie auch an einen alten Turm. Sie stieg die enge Treppe hinauf und gelangte zu einer Tür. Im Schloss steckte ein verrosteter Schlüssel. Als sie ihn umdrehte, sprang die Tür auf und da saß in einer kleinen Stube ein alter Mann mit einem Schnitzmesser und arbeitete an einer kleinen Holzfigur.  

„Guten Tag, lieber Mann“, sagte die Königstochter,  “Was machst du da?  „Ich schnitze“,  antwortete der Alte und nickte mit dem Kopf. “Was ist das für eine Figur, die so lustig schaut?“  sprach das Mädchen, nahm ein Messer und wollte auch schnitzen.  

Kaum hatte sie aber das Messer angerührt und den Holzblock angefangen zu bearbeiten, so ging der Zauberspruch in Erfüllung und sie stach sich damit in den Finger.   

In dem Augenblick aber, indem sie den Stich spürte, fiel sie auf das Bett und in einen  tiefen Schlaf. Und dieser Schlaf verbreitete sich über das ganze Schloss. Der König und die Königin, die soeben heimgekommen und in den Saal getreten waren, fingen an zu schlafen und der ganze Hofstaat mit ihnen.   

Da schliefen auch die Pferde im Stall, die Hunde im Hof, die Tauben auf dem Dach, die Fliegen an der Wand, ja selbst das Feuer, das auf dem Herd flackerte, wurde still und schlief ein. Der Braten hörte auf zu brutzeln und der Koch, der dem Küchenjungen das Würzen lehrte, lies den Salzstreuer fallen und schlief schnarchend ein.   

Auch der Wind legte sich und auf den Bäumen vor dem Schloss regte sich kein Blättchen mehr. Rings um das Schloss aber begann eine Dornenhecke zu wachsen, die jedes Jahr höher und höher wurde und irgendwann das ganze Schloss umzog und darüber hinauswuchs, so dass nichts mehr davon zu sehen war. Selbst die Fahne nicht auf dem Dach.  

Es ging die Sage im Land um von dem klugen und mutigen, schlafenden Dornröschen, wie die Königstochter genannt wurde. Von Zeit zu Zeit kamen alte Freundinnen und -freunde des Dornröschens und versuchten mit allen Mitteln, durch die Hecke in das Schloss zu kommen. Es war ihnen aber nicht möglich, denn die Dornen hielten fest zusammen, als hätten sie Hände. Auch der Großmutter, die ihre geliebte Enkelin Dornröschen gerne retten wollte, gelang es nicht mit ihrem Werkzeug die Dornenhecke zu durchqueren.  

Nach langen, langen Jahren machte sich  wieder  eine Gruppe von drei Freunden auf den Weg zum Schloss,  um ihr Glück zu versuchen und Dornröschen zu retten. Sie hatten die vielen Geschichten über das schlafende Dornröschen bis in ihr Dorf gehört und hatten sich fest vorgenommen das Unmögliche zu schaffen. Lilli, Tom und Nina hatten schon öfters die größten Abenteuer auf ihren Reisen erlebt. Lilli war dabei immer etwas chaotisch und stach mit ihren roten Haaren und den Sommersprossen aus der Gruppe heraus, hatte aber die besten Einfälle und die Gruppe so oft schon aus brenzligen Situationen gerettet. Tom hingegen hatte ein Talent dafür, überall etwas Essbares zu finden und die Gruppe vor dem Verhungern zu retten. Nina sagt dazu immer, dass sie erstaunt ist, wo er überall Beeren findet und was er daraus für Gerichte zaubern kann und wenn sie dafür verantwortlich wäre, sie bei weitem nicht hier stehen würden. Sie helfe ihm gerne beim Tragen des Wassers, damit seien ihre häuslichen Tätigkeiten aber auch abgedeckt. Nina verbringt ihre Zeit lieber damit, sich auf einen nächsten Kampf vorzubereiten, indem sie mit ihrem Schwert übt. Für solche Situationen hatte sie sich sogar ihre langen braunen Haare abgeschnitten, die ihre Mutter jahrelang gezüchtet hatte. Ninas Mutter war darüber zwar nicht begeistert, aber Nina entgegnete ihr nur, dass die Haare bei einem Kampf stören und zu zeitaufwändig sind und ihre Mutter doch lieber froh sein sollte, dass sie sich und ihre Freunde verteidigen kann, anstatt nur gut auszusehen. 

Als sie in ihrem Dorf Rast machten, um ihre Vorräte aufzufüllen, hörten sie die Geschichte von Dornröschen. Gespannt hörten sie zu und waren fest entschlossen ihr zu helfen. So machten sie sich auf den langen Weg zum Schloss. Dort angekommen staunten die drei Freunde nicht schlecht, als sie die große Dornenhecke sahen. “Ach, daher der Name Dornröschen, ziemlich einleuchtend‘‘, schmunzelte Nina. Lilli stimmte ihr grinsend zu und man sah an ihrem Gesicht, dass sie schon fieberhaft überlegte, wie sie diese Dornenhecke überwinden konnten.  “Es gibt immer ein Schlupfloch oder einen anderen Weg – man muss ihn nur finden‘‘, murmelte sie vor sich hin. 

Plötzlich rief Tom ihnen zu, dass er etwas unter einem Stein gefunden hat, als er nach Pilzen Ausschau halten wollte. Die beiden Mädchen rannten zu ihm und schauten auf eine alte Schachtel, welche schon lange dort liegen muss. Lilli  hob sie auf, betrachtete sie näher und holte ein altes Stück Papier hervor auf dem geschrieben stand: 

“Wenn eines Tages jemand kommt- clever,  tapfer  und  wissbegierig-  soll derjenige den Mut besitzen in das Schloss einzudringen und das schlafende Dornröschen von ihrem Fluch zu befreien. Aber sei auf der Hut- eine falsche Entscheidung und Dornröschen schläft für immer.‘‘ Neben dem Stück Papier waren noch drei große Beeren in der Schachtel zu finden. Lilli überlegte und sagte  dann: “Clever  bin ich- tapfer ist Nina und wissbegierig ist Tom, das sollte also kein Problem werden“. Während sie das sagte, fiel ihr die Schachtel mit den Beeren aus der Hand. ”Huch‘‘, sagte sie noch und Tom konnte die Schachtel gerade noch auffangen. Nina schaute Lilli und Tom an und erwähnte lächelnd: “Zum  Glück ergänzen wir uns gegenseitig – wie wollen wir jetzt vorgehen?‘‘ “Ich glaube, wir sollten zunächst versuchen in das Schloss zu gelangen und dann zu schauen, was uns erwartet und was wir mit den Beeren anstellen‘‘.  Nina und Tom stimmten zu und Nina nahm ihr Schwert und all ihre Kraft zusammen und schaffte es tatsächlich einen Weg durch die riesige Dornenhecke zu schneiden. “Training und Geduld machen sich doch bezahlt‘‘, dachte sie sich als sie endlich im Hof des Schlosses standen. 

Als alle Drei sich umblickten sahen sie schlafende Fliegen an der Wand, der Koch und der Junge standen am Herd und die Magd saß vor dem schwarzen Huhn, das gerupft werden sollte. Sie gingen weiter und sahen, wie im Saal der ganze Hofstaat lag und schlief. Oben auf dem Thron schliefen der König und die Königin tief und fest. Alles war  still  und die drei liefen hoch zu dem Turm, wo Lilli das Dornröschen vermutete. Sie öffneten die Tür und erblickten das schlafende Dornröschen. Lilli drehte sich um und schaute Tom an: “Ich  vermute, dass wir eine der drei Beeren auswählen  müssen, um damit Dornröschen aufzuwecken. Eine von den drei Beeren ist die Richtige und zwei werden wahrscheinlich giftig sein. Meinst du,  du kannst erkennen welche wir ihr geben müssen?‘‘. Tom schaute sich die drei Beeren genau an und überlegte. Dann blickte er hoch und sagte: “Meiner  Erfahrung nach, ist die runde rote und die rote weiße Beere giftig. Die dunkle kleine Beere hingehen kann man essen, wenn sie gekocht wird. Daher würde ich sie abkochen und sie dann Dornröschen geben.‘‘ 

Nachdem Tom die Beere abgekocht hatte, gaben sie diese Dornröschen. Es dauerte einen Moment und Lilli hatte schon die Befürchtung, dass die Idee mit den Beeren doch keine gute war. Doch dann schlug Dornröschen die Augen auf und schaute Lilli, Tom und Nina an. Sie richtete sich auf, lächelte und sagte: “Wie lange habe ich geschlafen und wer seid ihr  überhaupt?‘‘ Viele Fragen und Antworten später stellten Dornröschen und die drei Freunde fest, dass das ganze Schloss wieder erwacht war. Die Pferde im Hof standen auf und schüttelten sich, die Jagdhunde sprangen und wedelten, die Tauben auf dem Dach zogen das Köpfchen unter ihren Flügeln hervor, sahen umher und flogen ins Feld. Auch die Fliegen an den Wänden  krochen weiter, das Feuer in der Küche erhob sich, loderte und kochte das Essen, der Braten fing wieder an zu brutzeln.  

Zur Feier des Tages saßen alle Bewohnerinnen  und Bewohner  des Schlosses und die drei Freunde zusammen am Tisch und feierten ein großes Fest. Und so wurden aus drei Freunden vier Freunde und sie erlebten bis ans Ende ihrer Tage viele Abenteuer zusammen.  

© Maren Smits, 2021
© Maren Smits, 2021
Zeichnung von Dornröschen
© Maren Smits, 2021
© Maren Smits, 2021