von Nina Bettex
Diese junge Frau (bzw. das Bild von ihr) hatte mich bereits über Jahre begleitet, bis ich erfahren habe, wer sie ist – und das war irgendwie ein Aha-Erlebnis, an das ich mich noch gut erinnern kann.
Ich glaube, dieses Bild kam in Form einer Postkarte, die mir eine Freundin aus Berlin schickte, zu mir, es kann aber auch sein, dass ich es selber irgendwo entdeckt habe (und meine Freundin mir die Karte dann schickte, weil sie sie bereits von mir kannte…). Auf jeden Fall hat mich dieses Porträt so sehr fasziniert, dass es mich sehr lange begleitet hat.
Als es zu mir kam, war ich vielleicht 16 und bis vor ein paar Jahren hing es immer in der Nähe meines Schreibtischs, also über 20 Jahre. Immer wenn ich das Bild anschaute, hatte ich das Gefühl, mich selber zu sehen oder anders ausgedrückt: Ihre äußere Erscheinung passte zu meinem inneren Bild von mir, vielleicht so…. Mindestens 5 Jahre war diese Frau eine Unbekannte für mich. Ich nehme mal an, dass hinten auf der Postkarte ihr Name oder der des Fotografen stand, aber damals gab es noch kein Internet und keine Suchmaschinen und eine Person allein über ihren Namen zu finden, war schwierig (ich kann es mir kaum noch vorstellen, dass das mal so war). Eines Tages in einer Buchhandlung stieß ich auf dieses Bild (auf einem Buchcover) und es hat mich umgehauen, dass dieses Gesicht – was mich schon so lange begleitete – plötzlich eine Geschichte bekam, dass ein Mensch mit einer eigenen Geschichte dahinter stand, die mir jetzt zugänglich war.
Tina Modotti, die 1896 in Udine in Italien geboren wurde, folgte mit 17 ihrem Vater und einer Schwester in die USA, wo sie zunächst in San Francisco in ihrem gelernten Beruf als Textilarbeiterin arbeitete und Mitglied einer italienischen Laienschauspielgruppe war. Mit 19 lernt sie den Dichter und Maler Roubaix kennen, mit dem sie nach Los Angeles ging. Dort verkehrten beide in Literaten- und Künstlerkreisen, Tina spielte in Hollywood in drei Stummfilmen mit und lernte Edward Weston kennen (ein Fotograf), über den sie schließlich zur Fotografie fand. Nach dem Tod ihres Mannes ging sie mit Edward Weston nach Mexico, wo sie eine neue Heimat fand, da war sie 27 Jahre alt. Ihre Wohnung in der Stadt wurde schnell zum Treffpunkt von Künstlern und Intellektuellen, mit Diego Riviera hatte sie eine kurze Affäre und über sie bzw. in ihrer Wohnung lernte er angeblich auch Frida Kahlo kennen. Nachdem Edward Weston in die USA zurückkehrte, verliebte sie sich in den Maler Xavier Guererro, der zur Führung der kommunistischen Partei Mexikos gehörte. Sie wurde Mitglied der KPM und wandte sich verstärkt der politischen Arbeit zu. Ihre politischen Aktivitäten führten schließlich dazu, dass sie 1930 (wie viele andere Kommunisten auch) Mexiko verlassen musste. Sie ging nach Berlin, Moskau, Paris und schließlich 1935 nach Madrid, wo sie sich mit Beginn des Bürgerkrieges als Mitglied der Internationale Roten Hilfe im Krankenhaus um die Versorgung der Verwundeten kümmerte. 1939 ging sie zurück nach Mexiko, wo sie immer noch als „unerwünschte Ausländerin“ galt und ihre politischen Aktivitäten einstellen musste, um geduldet zu bleiben. Drei Jahre später starb sie an Herzversagen (mit 45!?). Es gab derzeit Spekulationen über eine politisch motivierte Vergiftung, die aber nie nachgewiesen werden konnten.
Durch eine erste europäische Ausstellung 1973 in Italien wurde Tina Modotti „wiederentdeckt“, 1989 schließlich auch in Deutschland durch eine Ausstellung in Berlin (dann habe ich die Postkarte wohl tatsächlich von meiner Freundin bekommen…). Mittlerweile sind ihre Arbeiten gesuchte, begehrte und oft sehr teure Objekte des Kunsthandels. Aber es ist weniger ausschließlich ihre Fotografie, als vielmehr ihre ganze Person, die interessiert. (vgl. Galerie Bilderwelt (Hrsg.) (1999): Edward Weston & Tina Modotti. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Palais Palffy Wien. Reinhard Schultz (Hrsg.) (2005): Tina Modotti. Ihr fotografisches Werk. Ihr Leben. Ihr Film. Zweitausendeins. Frankfurt am Main.)
Nun kannte ich nicht nur ihre Biographie, sondern auch viele ihrer Fotografien und Bilder, auf denen sie selbst zu sehen war. Auf den Fotos sah sie z. B. oft ganz anders aus, als auf diesem 1. Bild (meinem Bild). Immer wenn ich das Bild jetzt ansah, sah ich Tina Modotti, die Fotografin, Schauspielerin und politische Aktivistin. Und ich muss sagen, dass ich auch ein bisschen erleichtert war, weil ich ihre Lebensgeschichte nachvollziehen und gut finden konnte. Aber es war auch ein Verlust; es war jetzt nicht mehr irgendwie mein Gesicht, sondern eben das von Tina Modotti.