von: Jaspreet Singh Saini
Titel: White Riot
Regie: Rubika Shah
Produktion: UK (2019)
Altersempfehlung: Ab 14
Genre: Dokumentarfilm
Gesehen: Berlinale 2020, Sektion Generation 14plus
Und plötzlich fliegen Fäuste, Flaschen und Steine – voll Punk.
Im August 1976 kommt es beim Notting Hill Carnival zu Ausschreitungen. Die Polizei greift ein,
es kommt zu gewalttätigen Zusammenstößen der Besucher*innen und Polizist*innen und niemand weiß, wieso eigentlich. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass es dabei um mehr geht, als um eine Schlägerei oder Taschendiebstahl. Es ist eine Entladung von Spannungen zwischen der Londoner Polizei und der POC Gemeinde, hauptsächlich mit Wurzeln in den West Indies, Notting Hills. Zur Zeit des Carnivals nutzt die Polizei das sus law insbesondere gegenüber People of Color, welche über polizeiliche Repressionen hinaus auch in der Bevölkerung und auf politischer Ebene durch die National Front mit wachsenden rassistischen Ressentiments konfrontiert sind. Es herrscht Wut auf die Polizei, die National Front, auf die mächtigen Weißen. Und hier kommt der Punk ins Spiel. In ihrem Kurzdokumentarfilm beschreibt Rubika Shah die Rolle der Punkbewegung im London der 70er und legt damit den Zuschauer*innen die Geschichte der „Rock against Racism“- Bewegung in Form eines bewegten Fanzines vor die Nase. Mittels bisher unveröffentlichter Archivaufnahmen von Ikonen wie Joe Strummer und Red Saunders lädt Shah zu einer Zeitreise ein. Dabei lässt sie die wichtigsten Momente, von Claptons Sprechdurchfall `76 bis hin zum „Rock against the Nazis“ `78, wieder aufleben und damit das Herz eines jeden Punk Fans höher schlagen. In einem Potpourri aus Zeitungsschnipseln, Interviews und Konzertauftritten wird die Bedeutung des Punk über ein bloßes Musik Genre hinaus deutlich. Der Sound des selbsternannten „Mülls“, der gleichzeitig als Soundtrack der mitreißenden Collage dient, wird als musikalischer Mittelfinger gegen Rassismus und Repression ausgestreckt. Drei Power Chords als Medium politischer Meinungsbildung und Ausdruck dieser. Der Kampf ist ein gesellschaftlicher und wird auf der Bühne ausgetragen. Die Kontrahent*innen: Enoch Powell und Eric Clapton gegen Joy Division und The Clash. Die National Front gegen „Rock against Racism“. Stets begleitet von der Frage nach sozialer Verantwortung von Musiker*innen wird ein Stück Musikgeschichte in einer erfrischend abwechslungsreichen Mischung aus Farb- und S/W-Bildern auf die Leinwand gebracht und gesellschaftspolitisch eingerahmt. Oder ist es etwa andersrum? Wie dem auch sei, neben Steel Pulse und Generation X wecken auch die Buzzcocks den Rebell in uns. Fast möchte man mit David Hinds zusammen Jagd auf die National Front machen, oder zumindest mal einen Stein werfen. Aber vielleicht reicht es auch schon, sich daran zu erinnern, dass der Punk noch nicht tot ist. Trotz der Altersempfehlung von 14 Jahren, welche im Rahmen der Vorstellung auf der Berlinale ausgesprochen wurde, ist der Film auch für Jugendliche im Alter von ca. 12 Jahren aufgrund der Thematisierung von Rassismus und Polizeigewalt, als weiterhin bestehenden (strukturellen) Elementen moderner Gesellschaften, relevant und geeignet. Für Jugendliche, als zukünftige mündige Bürger*innen, ist meines Erachtens eine Aufklärung über die historische Entwicklung von Ungleichheitsstrukturen (und ihren Wirkungen) und Möglichkeiten des Widerstands notwendig. Die Wichtigkeit dieser Auseinandersetzung mit Rassismus für junge Jugendliche wird insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen antirassistischen Demonstrationen der Black Lives Matter-Bewegung deutlich. Ebenso wird die Rolle zivilen Ungehorsams zur sozialen und politischen Teilhabe für junge Jugendliche durch die Aktionen von z.B. Fridays for Future und Extinction Rebellion untermauert. Dabei erweitert der Einsatz von Musik als Instrument politischer Partizipation das Bewusstsein für dieses Medium und hebt es somit aus der Rolle eines bloßen Konsumguts. Ferner ist zu bedenken, dass Musik und Musiker*innen (als Vorbilder) identitätsbildend wirken und in dieser Funktion (nicht nur) von jungen Menschen idealisiert werden können. Solche Idealisierungsund ggf. Identifikationsprozesse mit Haltungen von Vorbildern können vor dem Hintergrund des (anti-)rassistischen Diskurses, welcher im Film porträtiert wird, hinterfragt und aufgebrochen werden. Eine solche kritische Auseinandersetzung sehe ich auch aufgrund der verstärkten Ablösung von bisher erlernten Werten in der Pubertät (und somit auch für junge Jugendliche im Alter von ca. 11 bis 12 Jahren) als wichtiges Element einer auf Emanzipation abzielenden Pädagogik