Manche*r erinnert sich an Fingerspiele auf dem Schoß der Großmutter, an das von  Opa gesungene „Fähnchen auf dem Turme“, an eine Märchenerzählerin im Kindergarten, an wiederkehrende Gute-Nacht-Geschichten (gern als Hörspiel, -buch) oder andere Rituale aus Kindertagen. Manche*r meint Begebenheiten aus der eigenen Kindheit oder aus der Vergangenheit der Eltern persönlich zu erinnern, weil sie sich, oft gehört, einverleibten. Persönliche Erzählungen und Vorstellungen schmücken ‚Geschichte‘ aus, machen diese lebendig, verbinden die Gegenwart mit der Vergangen­heit und lassen beide in die Zukunft mitnehmen. Beteiligung im Kleinen an der Geschichte im Großen. Welche Erzählung zu Geschichtewird, entscheiden jedoch nicht einzelne (‚kleine‘) Begebenheiten (mögen sie auch noch so bedeutsam sein), sondern entscheidet sich im Fluss der (‚großen‘) Geschichte. Entsprechend werden die Wege vereinzelter, meist mächtiger Zeitgenossen (und selten -genoss*innen) überliefert, während die Wege der Vielen in den für ihre Zeit typischen Lebenswelten nur erahnt werden können – wenngleich gerade mit diesen die Identifikation für Kinder näher liegend wäre: Was ist bekannt über den Alltag eines 4-jährigen Mädchens zur Zeit Alexanders des Großen? So suchen wir auch Erzählungen, die (bislang) keine Geschichte gemacht haben. Leise, unbekannte, vergessene Erzählungen, aber auch solche, deren Sprache nicht nur nicht gehört wurde, sondern als unerhört galt. „Menschen, die die Geschichte aus ihrem Gedächtnis streichen will“ (Lee 2018). Als „Unspeakable“ (be)schreiben Susan Burch und Hannah Joyner „The Story of Junius Wilson“, der „deaf and black“, sein Leben in einer Einrichtung für Menschen mit sog. geistiger Behinderung verbrachte. Unter Kinder- und Jugendbüchern gibt das Tagebuch der Anne Frank Einblick in eine der verborgenen ‚Lebenswelten‘. „Legenden, die uns verborgen blieben“ erzählt Maria Theresia C. Aden-Ugbomah (2017)  über Schwarze Jugendliche in Europa und fordert dabei Jugendlich selber zum Schreiben auf.

 „Man kann Menschen einer ganzen Generation auslöschen, ihre Häuser niederbrennen, aber sie werden immer einen Weg zurückfinden. Vernichtet man doch ihre Geschichte, ihre Kunstwerke, ihre Errungenschaften ist es, als hätten sie nie gelebt.“ 

(aus: Monuments men – ungewöhnliche Helden“ Film Regisseur G. Clooney, Produktion: Deutschland/ Großbritannien 2014)
 

Im Laufe unseres Seminars haben wir die Schriftstellerin Mirijam Günter kennengelernt, die uns inspiriert hat, eigene Gedichte zu kreieren. Hier ein paar Ergebnisse:

H eimat kann so ziemlich alles sein.
A aber wo fühle ich mich auch daheim?
N icht im schönsten Haus der Welt
N icht mt allem Geld der Welt
A uch brauche ich nicht viel
H eimat ist ein intensives Gefühl

A ngekommen sein, bedeutet für mich zuhause zu sein
N iemanden etwas vormachen müssen, was man denkt/fühlt 
N niemand sein müssen, der man nicht ist
I mmer willkommen zu sein, egal wann
K eine Geheimnisse voreinander zu haben und
A ufeinander Acht geben in allen Lebenslagen

M ich hält es hier
A n diesem Ort
R uhe und Gelassenheit
A ber wann geh ich hier endlich fort?

L ieber lach ich, als trübsal zu blasen
E gal wie das Leben verläuft
A us allem komme ich gestärkt zurück