Manifest für die inklusive Kindheitspädagogik
Kinder haben ein Recht auf unterschiedliche Erzählungen. Sie spiegeln diverse Identifikationsfiguren, Biografien und Lebenswelten wieder.
Kinder finden über vielfältige Zugänge zu Geschichten. Sie brauchen unterschiedliche Wege und Kanäle sowie verschiedene Sprachen und Darstellungsformen.
Geschichten werden weiter erzählt. Dadurch gestalten und verändern sie die Welt.
Kinder haben das Recht auf ungehörte Erzählungen. Sie erinnern und problematisieren, erzählen Unbeschwertes wie Unerhörtes.
Erzählungen brechen einseitige Perspektiven auf. Stereotypien, Generalisierungen und Stigmatisierungen werden entlarvt, Gemeinschaftsbildung und Zugehörigkeit ermöglicht.
Zum Manifest, zur Veranlassung und zur Entstehung
Das Manifest mag als Format einer pädagogischen Präsentation vermessen anmuten, eine Nummer zu groß erscheinen, kennt man es doch eher aus politischen und künstlerischen Zusammenhängen. Das Kommunistische Manifest ist wohl das bekannteste seiner Gattung; Einfluss und Bekanntheit erlangten jedoch auch das Manifest des Surrealismus (André Breton), das Manifest zur Zukunft der Musik (John Cage), das Bauhaus-Manifest (Walter Gropius), das Verschimmelungsmanifest (Friedensreich Hundertwasser). Zumeist wurde der strategische Anfang einer neuen Bewegung mit einem kühnen Text als frontaler Angriff gegen das Etablierte gesetzt. (vgl. Die lange Nacht über Manifeste mit einem einzigen frischen Sprung)
Das hier formulierte und über einen Zeitraum von zwei Semestern entwickelte ‚Manifest‘ wurde inspiriert durch das Genter Manifest (2018) mit seiner Aufforderung, besser „…über bekannte Regeln (zu) streiten, als dass wir, jeder im Stillen, die ungeschriebenen und damit umso wirkmächtigeren Regeln weiterhin befolgen“. (Stadttheater der Zukunft – Das Genter Manifest) In einem solchen Sinne geht es uns darum, Vermittlungswege aufzuspüren und weder (ausschließlich) dem Zufall bzw. unbemerkten Strukturen noch einer regulierenden Pädagogisierung zu überlassen. Wir adressieren hiermit Vermittler*innen von Narrationen, sofern sie – z.B. als (zukünftige) Pädagog*innen – deren Auswahl und Weitergabe unmittelbar beeinflussen. Dass (Kinder)Bücher dabei in den Fokus geraten, soll nicht als Vorschlag ihrer Zensur gelesen werden, sondern begründet sich durch das ihnen eigene in Bild und Schrift ‚festgehaltene‘ Erzählformat. Wir beabsichtigen keine Bewertung von (Kinder)Literatur (schon gar nicht rückblickend) und wollen dazu keinesfalls einladen. Das gemeinsame Lesen, Suchen, Hin-Hören hat uns vielmehr gezeigt, dass im breiten Spektrum überlieferter und entstehender Geschichte(n) manches unerzählt und vieles ungehört bleibt – und das womöglich nach Regeln, um die nicht gestritten wurde. Unser Manifest formuliert somit nicht eine neue Strategie des Gestaltens (wie sie z.B. an Kunstschaffende gerichtet würde), sondern eine des Hinsehens und Hinhörens, um die Beteiligungen der Narration an Wahrnehmung und Gestaltung von Welt als (pädagogische) Zumutung anzunehmen.
Der Profession gemäß mit leiser Zurückhaltung präsentieren wir (uns) hier gleichwohl mit Entschiedenheit (durch) ein Manifest und positionieren die Pädagogik damit neben Politik und Kunst bzw. alle drei als gleichwertige Diskurse. Welcher dabei das Kleine im Großen und welcher das Große im Kleinen verkörpert, mag die Auseinandersetzung, die wir mit unserem Manifest anzustoßen wünschen, aufklaren (und bestenfalls aufklären). Pädagogisches Handeln, so zeigte uns die Spurensuche nach Ursprüngen, Verläufen und Wirkungen von Erzählungen, ist sowohl politisches als auch künstlerisches Handeln. Das Wissen darum lässt nichts für pädagogische Reflexion als zu groß erscheinen, sondern verpflichtet ebenso zum großspurigen Statement wie es angesichts dessen Demut erzeugt. Beides annehmend präsentieren wir im Manifest für eine inklusive Kindheitspädagogik fünf zusammengefasste Forderungen, mit denen wir an den Wert und die Wirksamkeit von Erzählungen (in verschiedensten Formen und Ausführungen) erinnern und ihre Weitergabe an Kinder reflektieren wollen. Die manifeste Präsentationsform beabsichtigt eine Unterscheidung zu Ratgebern und Wertevermittlern, die sich in pädagogischen Kontexten marktgeleitet und digital potenziert verbreiten und dabei so latent beliebig wie zielgerecht daherkommen.
Erzählungen als Bildungszugänge stehen hier exemplarisch für Puzzleteile einer Kindheitspädagogik, die sich inklusiv gestalten möchte. Das Puzzle gibt Orientierung im Dickicht bildungspolitischer Umarmungen (vgl. Dannenbeck et al. 2016). Somit rufen wir (an und mit kleinen Beispielen) auch eine inklusive Pädagogik aus, die sich von disziplinfremden Vereinnahmungen löst, um ihren Ausgang als politische und kunstvolle Bewegung auf die Zukunft (der Kleinen und Großen) hin zu manifestieren.
1. Kinder haben ein Recht auf unterschiedliche Erzählungen. Sie spiegeln diverse Identifikationsfiguren, Biografien und Lebenswelten wieder.
Kinder sind die Adressat*innen, Protagonist*innen, Held*innen, Akteur*innen, (Nach)-Erzähler*innen, Rollenspieler*innen, Zuhörende, Deutende von Kinderliteratur und vielen Dar-stellungsformen von Geschichten im Alltag. Was weitererzählt, nachgespielt, wiederholt, ausgemalt, erinnert wird, entscheiden die Kinder selber – der pädagogische Blick auf das wertvoll Erscheinende mag vorsortierend lenken, aber nicht entscheiden. Auch nicht zu lesen oder zuzuhören kann eine Entscheidung sein – ganz im Sinne der „Rechte des Lesers“ (Pennac 1994), deren erstes das Recht darauf ist, nicht zu lesen.
Damit alle Kinder Figuren finden, mit denen sie sich identifizieren können, suchen wir nach diversen Charakteren, Hintergründen und Lebenswelten in Kinderbüchern und anderen Darstellungsformen von Erzählungen; verschiedene Familienkonstellationen kommen darin ebenso vor wie unter-schiedliche Interessen, Begabungen, Herkünfte, religiöse und geschlechtliche Orientierungen – sodass Kinder zwischen Identifikationsangeboten wählen, Freund*innen und Held*innen finden können. Dabei folgen wir gerade nicht (bzw. nicht nur) einem ‚Heldenschema‘, sondern lassen auch ‚leise‘ Erzählungen zu Geschichte(n) werden. (Diese Diversität beanspruchen wir nicht für die einzelne Erzählung, aber für die Gesamtheit.)
Die Schriftstellerin Chimamanda Adichie erzählt von den Figuren in ihren Kinder- und Jugendbüchern: Allesamt weiß, tranken sie „Ginger beer“ und aßen Äpfel – wie dann auch die Hauptfiguren in Chimamandas Erstlingswerken, obwohl sie selber als schwarze junge Frau in Nigeria aufwuchs und weder Äpfel noch Ginger-beer kannte. Lara sucht nach Büchern, in denen ihr Bruder, der adoptiert wurde, sich und Ausschnitte seiner Geschichte wiedererkennen kann. Lars fragt sich, warum keiner der berühmten Helden der Kinderliteratur (z.B. der 5 Freunde) im Rollstuhl sitzt oder blind ist? Sammy de Luxe wünscht sich für seinen Sohn: „Ich wär‘ so gern dein Superheld“. Raul Krauthausen schlägt vor, Kinderbücher zum Beispiel danach zu befragen, wie sie Charaktere von Menschen mit Behinderung darstellen und verbindet dazu den Tyrion-Lannister-Test mit dem Bechdel-Test (Nach der Comic-Zeichnerin Alice Bechdel: Gibt es mindestens zwei Frauenrollen mit Namen? Sprechen sie miteinander? Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann?).
Protagonist*innen sind im Sinne der Salamanca-Resolution
„… all children regardless of their physical, intellectual, social, emotional, linguistic or other conditions. This should include disabled and gifted children, street and working children, children from remote and nomadic populations, children from linguistic, ethnic or cultural minorities and children from other disavantaged or marginalized areas of groups…” (Salamanca Statement on Principles, Policy and Practice in Special Needs Education 1994, 3ff.)
2. Kinder finden über vielfältige Zugänge zu Geschichten. Sie brauchen unterschiedliche Wege und Kanäle sowie verschiedene Sprachen und Darstellungsformen.
Wie kommt das Kind zum Buch? Und wie kommt das Buch zum Kind? Wege von Büchern zu Kindern – und das ahnen diese nicht – werden gelenkt durch Büchermarkt, Marketing, bestenfalls durch epochaltypische Schlüsselthemen (Klafki 1985) (Bücher z.B. über Migration, Behinderung und Mobbing sind im Jahr 2020 zahlreich auf dem Markt.) und jedenfalls durch Distributions- und Selektionsmechanismen, die jenseits kindlicher Entscheidungs- und Auswahlmöglichkeiten liegen.
Die vom pädagogischen Auftrag bestimmte Wahl, Themensuche, Geschmacks- und Bewusstseinsbildung, Vermittlungskomponenten schließen sich an und lenken ihrerseits. Welche Erzählungen erreichen das Kind? Und welches Kind kann sich die verbleibenden erschließen, eine persönliche Auswahl treffen? Während pädagogische und ‚erwachsene‘ Begleiter*innen auf dem Weg vom Kind zum Buch, vom Buch zum Kind Manipulationen und Vereinseitigungen vermeiden mögen, sind sie beauftragt, Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Bildung, hier fokussiert auf Erzählungen, zu gewährleisten (Das 4-A-Scheme formuliert als Bedingungen für Bildung im Sinne der Menschenrechte: Availability, Accessability, Acceptability, Adaptability (Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Annehmbarkeit, Anpassbarkeit), vgl. Platte 2012); die vier A’s können auch hier orientieren.): Geschichten können auf unterschiedliche Weise rezipiert werden. Sie finden nicht nur in Büchern statt, sondern auch durch andere Übertragungsformen.
Unsere Recherchen und Projekte wünschen dem Kind selbst Unabhängigkeit gegenüber ‚pädagogischen‘ Mächten und Absichten und doch auch Offenheit da, wo pädagogische Expertise minimale Kriterien zu setzen beansprucht: Stigmatisierungen und Generalisierungen können dekonstruiert, Zugänglichkeit und Ausgewogenheit vorausgesetzt werden. So ergibt sich das Bild einer zirkulären, in Bewegung befindlichen Annäherung vom Kind zum Buch, vom Buch (Das Buch steht hier synonym für Erzählungen und Geschichten in vielfältigen Übertragungsformen.) zum Kind, die immer wieder auch unerwartete Zugänge öffnet.
3. Geschichten werden weiter erzählt. Dadurch gestalten und verändern sie die Welt.
Manche Geschichten begleiten über Jahre und Jahrzehnte. Bücher-Freund*innen aus der Kindheit werden Held*innen für Töchter und Söhne, Schüler*innen und Schüler, prägen professionelle Wege, verbinden Generationen – so z. B. Pippi Langstrumpf, Momo, Ronja Räubertochter, Wickie, Harry Potter, Huckleberry Finn, Heidi, der kleine Prinz, die kleine Hexe, die drei ???. Fiktion und Realität begegnen einander.
Figuren entsteigen den Büchern, werden zu Wegbegleiter*innen, Vorbildern, pädagogischen Wegweisern. Manche Bücher halten ihr Ende offen und laden die Leser*innen in die Erzählung ein; so z.B. Wimmelbücher, interaktive Bücher oder unser Projekt „das rote Fahrrad“. Geschichten können weiter erzählt werden, wenn Protagonist*innen über das Buch hinausgehen oder wenn sie etwas ‚zum Schwingen bringen‘, wenn sie Emotionen auslösen, Interesse wecken, ins Grübeln versetzen. Das drückt sich vor allem auch in Ästhetik, Layout und Illustrationen aus. Um allen bzw. vielen Kindern Schwingungen, Identifikationen oder Realitätserweiterungen zu ermöglichen, bedarf es freilich einer breiten Auswahl an Büchern, Geschichten, Erzählungen.
Welche lassen Raum für Spekulationen, Fortsetzungen, eigenes Erzählen, offen bleibende, variable Ausgänge? Oder ist am Ende keine Geschichte so geschlossen, dass man sich nicht eine Fortsetzung vorstellen könnte? So wie der Alltag Geschichten schreibt, greifen selbige in den Alltag ein, mal mehr und mal weniger bewusst. So konstruiert auch Sprache Realitäten, Vorstellungen, Beziehungen und (vermeintliche) Normalitäten, die – einmal in der Welt – sich unbeschwert reproduzieren, jedoch schwerlich revidieren lassen. Die kleine Erzählung wird zum großen Narrativ.
„Hallo, es ist alles nur eine Erzählung – nicht nur in diesem Buch, das du gerade liest, sondern dein ganzes Leben und die Welt, in der wir sind. Alles eine riesige Erzählung.“ (Juli Zeh)
„Es geht nicht mehr nur darum, die Welt darzustellen. Es geht darum, sie zu verändern. Nicht die Darstellung des Realen ist das Ziel, sondern dass die Darstellung selbst real wird.“ (Genter Manifest)
„Hallo, es ist alles nur eine Erzählung – nicht nur in diesem Buch, das du gerade liest, sondern dein ganzes Leben und die Welt, in der wir sind. Alles eine riesige Erzählung.“ (Juli Zeh)
„Es geht nicht mehr nur darum, die Welt darzustellen. Es geht darum, sie zu verändern. Nicht die Darstellung des Realen ist das Ziel, sondern dass die Darstellung selbst real wird.“ (Genter Manifest)
4. Kinder haben das Recht auf ungehörte Erzählungen. Sie erinnern und problematisieren, erzählen Unbeschwertes wie Unerhörtes.
Manche*r erinnert sich an Fingerspiele auf dem Schoß der Großmutter, an das von Opa gesungene „Fähnchen auf dem Turme“, an eine Märchenerzählerin im Kindergarten, an wiederkehrende Gute-Nacht-Geschichten (gern als Hörspiel, -buch) oder andere Rituale aus Kindertagen. Manche*r meint Begebenheiten aus der eigenen Kindheit oder aus der Vergangenheit der Eltern persönlich zu erinnern, weil sie sich, oft gehört, einverleibten. Persönliche Erzählungen und Vorstellungen schmücken ‚Geschichte‘ aus, machen diese lebendig, verbinden die Gegenwart mit der Vergangen-heit und lassen beide in die Zukunft mitnehmen.
Beteiligung im Kleinen an der Geschichte im Großen. Welche Erzählung zu Geschichte wird, entscheiden jedoch nicht einzelne (‚kleine‘) Begebenheiten (mögen sie auch noch so bedeutsam sein), sondern entscheidet sich im Fluss der (‚großen‘) Geschichte. Entsprechend werden die Wege vereinzelter, meist mächtiger Zeitgenossen (und selten -genoss*innen) überliefert, während die Wege der Vielen in den für ihre Zeit typischen Lebenswelten nur erahnt werden können – wenngleich gerade mit diesen die Identifikation für Kinder näher liegend wäre: Was ist bekannt über den Alltag eines 4-jährigen Mädchens zur Zeit Alexanders des Großen? So suchen wir auch Erzählungen, die (bislang) keine Geschichte gemacht haben. Leise, unbekannte, vergessene Erzählungen, aber auch solche, deren Sprache nicht nur nicht gehört wurde, sondern als unerhört galt. „Menschen, die die Geschichte aus ihrem Gedächtnis streichen will“ (Lee 2018). Als „Unspeakable“ (be)schreiben Susan Burch und Hannah Joyner „The Story of Junius Wilson“, der „deaf and black“, sein Leben in einer Einrichtung für Menschen mit sog. geistiger Behinderung verbrachte. Unter Kinder- und Jugendbüchern gibt das Tagebuch der Anne Frank Einblick in eine der verborgenen ‚Lebenswelten‘. „Legenden, die uns verborgen blieben“ erzählt Maria Theresia C. Aden-Ugbomah (2017) über Schwarze Jugendliche in Europa und fordert dabei Jugendlich selber zum Schreiben auf.
„Man kann Menschen einer ganzen Generation auslöschen, ihre Häuser niederbrennen, aber sie werden immer einen Weg zurückfinden. Vernichtet man doch ihre Geschichte, ihre Kunstwerke, ihre Errungenschaften ist es, als hätten sie nie gelebt.“ (aus dem Film „Monuments Men – ungewöhnliche Helden“ (G. Clooney))
5. Unterschiedliche Perspektiven brechen einseitige Erzählungen auf. Stereotypien, Generalisierungen und Stigmatisierungen werden entlarvt, Gemeinschaftsbildung und Zugehörigkeit ermöglicht.
„Was mich dahin gebracht hat, Strafrichterin sein zu wollen“, schreibt Juli Zeh (2020: 18), die als Schriftstellerin bekannt ist, „war dieses Faszinosum, vor Gericht mitzuerleben, was passiert, wenn zehn oder zwanzig Leute denselben Fall erzählen. Egal, ob als Zeugen, Opfer oder Täter – sie wollen eigentlich alle dieselbe Geschichte erzählen. In einem ganz einfachen Fall sind es vielleicht die Minuten von 10.03 Uhr bis 10.05 Uhr am 14. Februar. Was passiert in diesen zwei Minuten? Mal angenommen, das haben jetzt zehn Leute auf verschiedene Art und Weise mitgekriegt, der eine war betroffen, der andere hat es von Weitem gesehen, der Nächste hat zufällig am Telefon was gehört – alle haben irgendetwas wahrgenommen und erzählen es. Und was kommt dabei raus? Unter Um-ständen zehn komplett verschiedene Storys, wo man denkt: Hat das überhaupt etwas miteinander zu tun? Das erlebt man ja immer wieder, gerade vor Gericht.“
In aller Bescheidenheit und in aller Vermessenheit distanzieren wir uns mit dem Manifest von aus-schließlicher Wahrheit und von einstimmiger Beurteilung eines (Bilder)Buches als gut oder schlecht, richtig oder falsch oder gar der Einordung als wertvoll. „Single stories“ (Adichie, s.o.) und damit ‚simple‘ Stories, wie sie Ratgeber, Preisvergaben, Studien vorlegen, um Expertise durch Ausschließlichkeit, Bestimmtheit, Bewertung sowie Rangfolgen zu evozieren, lassen sich durch zusätzliche Perspektiven vervielfältigen.
Inklusive Zugänge suchen Wege, Mehrperspektivität und Widersprüchlichkeit abzubilden (wenn nicht in einer, dann durch die Repräsentanz mehrerer Geschichten oder Versionen). So lassen sich Grenzziehungen, Zuschreibungen und Verallgemeinerungen abbilden, hinterfragen und alternativ lesen. So vermöge Story-telling auch ein Narrativ von Gemeinschaftlichkeit auszudrücken, pädagogisch durch Anerkennung, politisch als Solidarität und künstlerisch in der Verbundenheit im kreativen Wirken. Und so wären Einsatz und Reflexion von Erzählungen – neben der pädagogischen Zurückhaltung zugunsten kindlicher Auswahl und Vorlieben – ein Puzzleteil inklusiver Kindheitspädagogik.
Literaturhinweise
- Aden-Ugbomah, Marie-Theres (2017): Schwarzes Europa. Legenden, die uns verborgen blieben. Schwarze Jugendliche auf den Spuren ihrer Geschichte. Münster: Edition assemblage. ISBN: 978-3-942885-19-5.
- Burch, Susan & Joyner, Hannah (2007): Unspeakable. The Story of Junius Wilson. Chapel Hill: The University of Carolina Press. ISBN: 978-0-8078-8434-8.
- Dannenbeck, Clemens et al. (2016): Inklusion und Kritik. Anstiftungen zu einer gesellschafts-theoretischen Fundierung des Inklusionsdiskurses. In: Müller, Stefan & Mende, Janne: Differenz und Identität. Konstellationen der Kritik. (Hrsg.) (2016) Weinheim und Basel: Beltz Juventa (S. 202-220). ISBN: 978-3-7799-3413-4.
- Klafki, Wolfgang (1985): Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Beiträge zur kritisch-konstruktiven Didaktik. Weinheim und Basel: Beltz.
- Lee, Minh Jin (2018): Ein einfaches Leben. München: dtv. ISBN: 978-3-423-28972-6.
- Pennac, Daniel (1994 ): Wie ein Roman. Köln: Kiepenheur & Witsch
- Platte, Andrea (2012): Inklusive Bildung als internationale Leitidee und pädagogische Herausforderung. In: Balz, Hans-Jürgen/ Benz, Benjamin/ Kuhlmann, Carola (Hrsg.) (2012). Soziale Inklusion. Wiesbaden: Springer VS (S. 141-161). ISBN: 978-3-531-18557-6.
- Zeh, Juli (2020) im Interview mit Sabine Rückert, ZEIT N°15, 2. April 2020. URL : https://de.wikipedia.org/wiki/Juli_Zeh /Abruf am 08.06.2020